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Gut leben im besten Alter

Das Internet

Geht der Alltag im Dritten Lebensalter überhaupt noch ohne?

Nur für wenige im sogenannten Dritten Lebensalter ist es ein offenes Buch, für viele ab 60 Jahren dagegen immer noch ein Schloss mit sieben Siegeln: das Internet. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) wollte daher wissen: „Leben ohne Internet – geht’s noch?“ Hier einige Ergebnisse aus der Studie, manche erstaunlich, einige bedenklich.

An anderer Stelle in diesem Heft ist bereits von einem der zwölf Megatrends unserer Zeit die Rede, der Silver Society. Für das tägliche Leben älterer Menschen wird aber auch ein weiterer Megatrend immer relevanter und bei dem verläuft es für die Betroffenen weiß Gott weniger rosig. Es geht um die Konnektivität der Gesellschaft im Zuge der Digitalisierung.

In allen Lebensbereichen hat die Digitalisierung mehr oder weniger bereits Einzug gehalten. Ob nun bei Bankgeschäften, dem Ticketkauf für Veranstaltungen oder beim Shopping: Online soll alles schneller, besser und kostengünstiger ablaufen. Doch ist das in der Realität vor allem für Menschen, denen das Internet nicht schon mit in die Wiege gelegt wurde, wirklich der Fall? Dieser Thematik ging die BAGSO in einer Umfrage im vergangenen Jahr nach. Die über 2.300 Teilnehmenden waren mindestens 60 Jahre alt; das Durchschnittsalter lag bei 72,8 Jahren. Ansonsten ergab sich eine bunte Mischung unterschiedlichster Jahrgänge, Bildungsstände, Wohnverhältnisse und Internetkenntnisse.
Die offen gehaltene Fragestellung lautete dabei sinngemäß, in welchen Lebensbereichen und -situationen die Befragten subjektiv eine Ausgrenzung durch fehlenden Internetzugang oder fehlende Internetkenntnisse erfuhren. Dazu wurden die Befragten aufgefordert, bis zu drei Situationen zu schildern, in denen das Fehlen des einen oder des anderen alltägliche Aufgaben erschwerten und in welchem Maße. Zudem wurde abgefragt, ob es alternative Zugänge gegeben habe und ob monetäre Nachteile durch das Fehlen eines direkten Zugangs entstanden seien.
Insgesamt kamen über die Erhebung durch den Fragebogen über 3.500 Schilderungen negativer Erlebnisse zusammen. Da nur neun Prozent der Befragten angaben, keinerlei Einschränkungen erfahren zu haben, sind 91 Prozent schon mit mindestens einer Situation konfrontiert worden. Immerhin noch 60 Prozent haben bei mindestens vier Gelegenheiten ohne Internet Schwierigkeiten bei der Erledigung alltäglicher Dinge erlebt. Die Schilderungen wurden daraufhin 12 Lebensbereichen mit insgesamt 65 Unterkategorien zugeordnet, um ein strukturierteres Bild zu bekommen, in welchen Teilen des täglichen Lebens die größten Hindernisse bestehen. Welche Ebenen der Ausgrenzung dabei erlebt wurden, zeigt die Tabelle auf der nächsten Seite.

Der Lebensbereich, der bei der Befragung am schlechtesten abschnitt, umfasste ausgerechnet die öffentliche Verwaltung und kommunalen Bürgerdienste, also staatliche Einrichtungen. Allein 729 Mal tauchte dieser Bereich in den Antworten der Studienteilnehmer auf. Größtes Frustpotenzial lieferte dabei das Finanzamt mit 40 Prozent, was laut den Berichten hauptsächlich der ELSTER-Software und der Grundsteuererklärung geschuldet war. Die BAGSO stellte fest: „Es wird hier deutlich, dass die Ausgrenzungen, die vom Staat ausgehen, von den Betroffenen als besonders gravierend erlebt werden.“

Im Banksektor wurde vielfach der Wegfall von Automaten oder Filialen bemängelt, was zu deutlich mehr Aufwand und weiteren Wegen für Bankgeschäfte führte, wenn man nicht über Möglichkeiten des Online-Bankings verfügte. Dieser – nicht nur im Hinblick auf Banken – erhöhte Mobilitätsbedarf lässt sich regelmäßig nur bei guter Gesundheit decken. Menschen in höherem Alter müssen mitunter länger auf entsprechende Gelegenheiten warten. Wenn man dann auch noch im ÖPNV mit unzureichender Informationslage zu kämpfen hat, weil die gewohnten Fahrpläne nur noch digital oder an Haltestellen zu finden sind, summieren sich die Hindernisse, um ursprünglich alltägliche Aufgaben zu meistern. Die BAGSO stellt fest: „Besondere Frustrationen treten auf, wenn Angebote, die sich explizit an ältere Menschen richten, einen Zugang zum Internet voraussetzen.“

Ein Ärgernis war vielen Befragten bereichsübergreifend, dass man von besonderen Angeboten, Rabattaktionen oder Bonusprogrammen ausgeschlossen wurde, da diese nur online angeboten wurden. Mehr Geld für dasselbe Produkt oder dieselbe Reise ausgeben zu müssen wie der Nachbar mit Internet, würde niemandem schmecken. Nicht-digitale Vergleiche seien durch den Rückgang des Einzelhandels vor Ort ebenfalls kaum noch machbar, wurde berichtet.
Rund um das Thema Einkaufen und Bezahlen fiel darüber hinaus häufig negativ auf, dass Versandhäuser keine gedruckten Kataloge mehr anbieten und auch die telefonischen Kontakt- und Bestellmöglichkeiten von Internetlösungen verdrängt wurden.
Nicht zuletzt ändert sich durch die zunehmende Digitalisierung auch die Form der Kommunikation im sozialen Umfeld. Ohne Internet können moderne Kommunikationskanäle, allen voran Facebook, nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden. Das kommt dann wiederum auf die Kenntnisse bei der Smartphone-Nutzung an. Selbst innerhalb der Familie wird das Aufrechterhalten von Kontakten erschwert.
Die hochgepriesene Digitalisierung und der Traum von umfassender Konnektivität der Menschen hat altersdiskriminierende Züge angenommen. Bei all dem Fortschritt und den Prozessoptimierungen für das alltägliche Leben ist eben jene Generation außer Acht gelassen worden, die nicht mit Computer, Modem und Internet aufgewachsen ist. Ohne Frage können die nachfolgenden Generationen digitalen Lösungen viel mehr abgewinnen und Neuerungen vermutlich deutlich schneller adaptieren. Man muss jedoch konstatieren, dass vielfach die Chance verpasst wurde, mit altersgerechten Alternativangeboten Brücken über die digitale Kluft zwischen den Generationen zu schlagen. Gewohnheiten wurden gänzlich ignoriert, statt sie zu respektieren. Geradezu grotesk wird es dann, wenn man sich für einen Internetkurs an einer Volkshochschule ausschließlich über das Internet anmelden kann.

Die BAGSO resümiert: „Lösungen für die vorhandenen Barrieren bestehen vor allem darin, klassische Zugangswege aufrechtzuerhalten wie die telefonische, postalische und persönliche Erreichbarkeit und die Möglichkeit, gedruckte Unterlagen zu erhalten.“ Und wie wichtig das für die Gesellschaft ist, bringt die Studie ebenfalls auf den Punkt: „Digitale Exklusion ist gesellschaftliche Exklusion.“