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Gut leben im besten Alter

Leiden mit den Tätern

Das Stockholm-Syndrom – Eine Geiselnahme mit Spätfolgen

Dritter und letzter Teil

Kristin Enmark, Elisabeth Oldgren, Birgitta Lundblad und Sven Säfström kamen nach der Befreiung in eine psychiatrische Klinik. Jede Geisel wurde in einem luxuriösen Einzelzimmer untergebracht. Nach fünf Tagen ohne Dusche pflegten sie sich erst einmal ausgiebig. Dann schliefen sie sich aus.

Alle vier Geiseln berichteten später, dass sie fast 48 Stunden schliefen. Anschließend begannen die Untersuchungen und die Gespräche mit den Psychologen. Dr. Lennert Ljunggren leitete diese Untersuchungen. In seinen Augen waren alle vier einer Gehirnwäsche unterzogen worden. „Es ist die gleiche Gehirnwäsche, die man auch bei Kriegsgefangenen beobachten kann. Es ist ein Schockzustand, in dem sie sich vor der Wirklichkeit schützen und so tun, als seien überhaupt keine schlimmen Dinge passiert.“
Psychologen auf der ganzen Welt interessierten sich für das Verhalten der vier Geiseln. Denn alle vier machten sich große Sorgen um die beiden Kriminellen. Sie kritisierten die Polizei und die Politiker und betonten immer wieder, dass sie mehr Angst vor der Polizei als vor dem Geiselnehmer gehabt hätten.
Der Psychologe Nils Bejerot hatte die Polizei während des Geiseldramas beraten. Seine Aufgabe war es gewesen, die Psyche der Täter richtig einzuschätzen. Er war davon überzeugt gewesen, dass Olsson und Olofsson nichts davon hätten, wenn sie eine Geisel töten würden. Damit bestärkte er die Polizei in ihrer Zermürbungstaktik. Nach der Befreiung schrieb er eine Analyse über das Verhalten der Geiseln und bezeichnete es als „Stockholm-Syndrom“.
Obwohl die vier Geiseln in den Augen der Wissenschaft äußerst interessante Verhaltensmuster zeigten, bekamen sie nicht die Hilfe, die sie benötigt hätten. Nachdem sie sich im Krankenhaus einigermaßen erholt hatten, kamen sie nach Hause – ohne Unterstützung eines Psychologen oder Arztes. Sie waren zwei Monate lang krankgeschrieben, dann erwartete man sie wieder in der Bank an ihrem Arbeitsplatz. Die Bank berechnete für die Zeit im Tresor das Gehalt in Form von Überstunden aus. Als sie ein Jahr später beim Prozess gegen Olsson und Olofsson als Zeugen aussagen mussten, erhielten sie keine Unterstützung von einem Opferanwalt.
Sie litten jahrelang unter posttraumatischen Störungen und mieden weitgehend die Öffentlichkeit.
Die vier Geiseln

Kristin Enmark. Sie war bei der Geiselnahme 23 Jahre alt. Sie kündigte ihren Job bei der Bank und wurde Psychotherapeutin. Sie war die Geisel gewesen, die aus dem Tresorraum mit Ministerpräsident Olof Palme telefoniert hatte. Ein Satz blieb ihr besonders im Gedächtnis: „Wäre es nicht toll zu sterben, wenn man auf seinem Posten ist?“
Sie winkte Clark Olofsson nach, als man sie in den Krankenwagen brachte und ihn abführte. Zeitweise hieß es, dass sie sich in ihn verliebt habe oder zumindest auch Jahre später noch mit ihm befreundet gewesen sei. Sie hat das immer bestritten, obwohl sie sich mit beiden Männern in den Jahren danach hin und wieder getroffen hat. Über das Stockholm-Syndrom sagte sie später: „Es ist eine Frage von Macht und Ohnmacht. Man ist zusammen eingesperrt.“
Sie war die einzige der vier Geiseln, die später hin und wieder Interviews gab und so einen Einblick in das Leben „danach“ ermöglichte.

Elisabeth Oldgren war bei der Geiselnahme 21 Jahre alt und ebenfalls Bankangestellte. Janne Olsson missbrauchte sie Schutzschild, als er beim Überfall am ersten Tag schoss und einen Polizisten verletzte. Sie hat einen anderen Namen angenommen und lebt zurückgezogen mit ihrer Familie. Sie hat sich nie öffentlich über das Geiseldrama geäußert.

Birgitta Rudstand-Lundblad war 31 Jahre alt und Bankangestellte. Ihre Töchter waren sehr klein und erst ein und zwei Jahre alt. Sie litt nach den Schreckenstagen sehr lange unter extremer Müdigkeit. Sie behielt ihren Job und blieb weiterhin auf ihrem Posten in der Bank. Als sie 61 war, ging sie in Rente.

Sven Säfström war damals 24 Jahre alt, Bankangestellter und der einzige Mann unter den Geiseln. Er hatte sich am Anfang der Geiselnahme stundenlang versteckt und wurde erst gefunden, als Clark Olofsson aus dem Gefängnis in die Bank kam. Der Kriminelle wählte ihn dann zu seiner „persönlichen“ Geisel. Er behielt seinen Job und arbeitete bis zum Rentenalter in der Bank. Er lebt zurückgezogen und hat sich nie öffentlich geäußert.

Was wurde aus den Kriminellen?
Eigentlich gab es nur einen Geiselnehmer – Janne Olsson. Clark Olofsson hatte von der geplanten Geiselnahme nichts gewusst.
Die Polizei begriff erst nach der Befreiung, wer der Bankräuber und Geiselnehmer eigentlich war. Janne Olsson war ein kleiner und unbedeutender Krimineller. Dass er bei seiner letzten Haftstrafe Carl Olofsson kennengelernt hatte, war nicht bekannt gewesen. Dass er dermaßen für Clark schwärmte und ihn mit allen Mitteln der Macht befreien wollte, hatte offenbar niemand im Gefängnis bemerkt. Janne Olsson war bei der Geiselnahme 32 Jahre alt, er wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt und kam nach acht Jahren frei. Er hat sich nach verbüßter Haftstrafe nie wieder strafbar gemacht. Er lebte einige Zeit in Thailand mit seiner Frau und Familie, zog dann aber später zurück nach Schweden, wo er – wie in seiner Jugend – als Autohändler arbeitet. Im Laufe seines Lebens bekam er mit verschiedenen Frauen neun Kinder und ist heute Großvater von 16 Kindern.

Clark Olofsson ist bis heute der wohl berühmteste Gangster in der schwedischen Kriminalgeschichte. Allerdings hat er seinen Ruf als „Gentleman-Ganove“ verloren. Nach dem Geiseldrama wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt, später jedoch freigesprochen, da seine Teilnahme an der Geiselnahme nicht freiwillig war. Seinen Lebensstil änderte er nicht. Immer wieder überfiel er Banken, immer wieder flüchtete er aus dem Gefängnis. 1983 zog er nach Belgien, 1991 nahm den Namen Daniel Demuynck an. Einige Zeit lebte er dort ganz glücklich. Ende der 90er Jahre ging er in die Karibik und lebte vom Verleih seines Bootes an Touristen. Aber er kam trotzdem immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt. So wurde er einige Male mit Drogen erwischt. 1999 wurde er in Dänemark wegen Drogenhandel zu vierzehn Jahren Haft verurteilt, 2005 kam er frei, wurde aber kurz darauf erneut wegen eines Drogendelikts festgenommen. Seit 2019 lebt der ehemalige Frauenheld zurückgezogen und alleine in einem schwedischen Dorf. Fast alle, die ihn früher bewunderten, haben sich von ihm abgewandt.

Janne Olsson sagt heute: „Ich bereue es, dass ich ihm helfen wollte. Er ist ein Mistkerl“.

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